Kritische Haltung beim Podcasten

Ich muss mal ein ein wenig ausholen für dieses Thema.
Ich bekomme ab und an Hörer_innen-Feedback, in dem mir (mal mehr oder weniger deutlich) geraten wird, meine Gesprächspartner_innen aus der DDR kritischer zu hinterfragen – vor allem die, die nicht offensichtlich Oppositionelle, Republikflüchtlinge oder generell Systemkritiker waren. Mein Verständnis des Podcasts ist es zunächst mal, die Leute aus ihrer persönlichen Erfahrung erzählen zu lassen und zu versuchen, verschiedene Aspekte des DDR-Lebens deutlich werden zu lassen. Natürlich habe ich eine Haltung und Meinung zu den Dingen, die mir da berichtet werden, aber ich bin a) froh, dass die Leute überhaupt mit mir sprechen und b) versuche ich schon nachrzufragen um dann vielleicht c) Aussagen “zwischen den Zeilen” bekommen zu können. Und letztendlich d) ist man als Podcaster_in ja auch immer ein bisschen “davongetragen” von der jeweiligen Interview-Situation (geht mir zumindest so) und beim Nachhören kommen einem dann noch mal ganz andere Gedanken. Über dieses Thema unterhalten sich auch Mirco und Nico in Sendungsbewusstsein 004.
Schützenhilfe bekam ich jüngst unerwartet und indirekt von Fefe mit seinen Reflexionen zum 31C3-Talk von Bill Scannell und dem Interview mit ihm bei den Krautreportern, in dem er unter anderem den Satz sagt: “Und deswegen heißt das ja auch Meinungsbildung, weil es nicht darum geht, den Leuten vorgefertigte Sachen zu geben, sondern ihnen die Grundlagen zu geben, damit sie selber ihre Meinung bilden können.”

Genug der Vorrede. Mich würde von Euch interessieren: Inwieweit muss und soll die Haltung des Podcasters / der Podcasterin in Interviews deutlich werden? Wie kritisch darf so ein Gespräch verlaufen? Was wünscht Ihr Euch als Hörer_in und wie ergeht es Euch selbst beim podcasten? Dankeschön schon einmal!

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Idealerweise sollte der Interviewer gar keine Position einnehmen und neutral den Interviewten reden lassen.

Update

Mist, der Fefe-Blog war ja schon verlinkt. Das ist auch meine Meinung. Einfach reden lassen.

Erstens geht es, speziell bei der Staatsbürgerkunde ja unter der Hand um Identität. Und nicht um eine komplette politische Aufarbeitung und Bewertung. Leben in der DDR eben - das ist legitim. Und wichtig.

Zweitens liegt der Ton eines Podcasts in der Persönlichkeit des Podcasters. Manche ranten gerne, andere diskutieren lieber und wieder andere wollen Objektivität erreichen, indem sie nur schildern. Oder beobachten. Oder zuhören. Ist auch alles o.k.

Drittens würde ich mir sehr wünschen, dass wir tunlichst kein Regelwerk entwickeln, wie kritisch ein Gespräch oder eine Sendung sein muss. Das unterscheidet uns von Sendungen, die dem Rundfunkstatsvertrag unterliegen. Oder?

Ich finde, Du machst das sehr gut. Weiter so!

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Gerade bei Staatsbürgerkunde sehe ich das nicht so Eng, Das was da geschildert wird ist der Alltag bei euch unten in Weida und Umgebung. Die ist zum einen durch deine Eltern stark geprägt und die stimmt nicht immer mit der überein, die ich weiter im Norden und ein Jahrzehnt später als deine Elstern gemacht haben, überein.

Als InterviewerIn seine Meinung außen vor zu lassen, geht schon mal nicht. Denn allein mit der Auswahl der Fragen bezieht man ja schon eine Position.

Und deine Erfahrungen mit der Anderen Sicht wenn man sich den Podcast noch mal anhört, kenne ich auch. Aber so ist nun mal das Format und ich finde es nicht mal das schlechteste.

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Dankeschön für Deinen Beitrag. So sehe ich das auch und ein Regelwerk fände ich auch nicht gut – und danke fürs Lob.

Ich fände es trotzdem hilfreich, wenn ich bewusster das Interview reflektieren könnte, während es entsteht. Einfach als zusätzlichen „Skill“. Aber dankeschön auf jeden Fall!

Staatsbürgerkunde ist für mich ein Geschichtspodcast aus erster Hand. Du dokumentierst da die Eindrücke von Menschen aus einer bestimmten Periode der Geschichte. Oral History hat immer zur Bedingung, dass sie subjektiv und wertend ist. Das ist auch gut so, denn Jahreszahlen und offensichtliche Fakten kann ich mir aus der Wikipedia holen. Selbst wenn bestimmte Fakten falsch wiedergegeben (und erst im Blog oder einer späteren Episode korrigiert werden), hast du damit erstmal festgehalten, wie bestimmte Dinge von der interviewten Person wahrgenommen und erinnert wurden. Wenn du jetzt anfängst Leute in eine Ecke zu drängen oder sie bei jeder Aussage, die nunmal auf ihren persönlichen Erfahrungen und Eindrücken beruht kritisierst, werden sie sich dir nicht mehr so ehrlich öffnen, wie sie es tun würden, wenn du versuchst neutral oder zumindest halbwegs verständnisvoll zu bleiben.

Ich verstehe woher der Impuls kommt, bei politischen Themen kritischer mit Gesprächspartnern umzugehen. Bestimmtem Gedankengut und Geschichtsklitterung sollte man keine unnötige Bühne geben. Das tust du aber mit Staatsbürgerkunde definitiv nicht. Ich gehe davon aus, dass der Großteil deiner HörerInnen versteht, worum es dir da geht und dass die Meinung deiner Gesprächspartner nicht immer automatisch deiner eigenen entspricht, geschweige denn einer absoluten Wahrheit.

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Das ist auch meine Vermutung. Und ich hoffe in der Tat auch, dass die Hörer_innen mitdenken :wink:

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Zwar bin ich gegen ein Regelwerk, aber für mich stellt sich die Frage, wie du deine Rolle definierst und was du aus dem Gespräch herausholen willst? Das kann auch von Episode zu Episode unterschiedlich sein.
Oder geht es dir mehr um deine Moderationsfähigkeiten?
Problematisch wird es aus meiner Sicht nur dann, wenn der Gast eine Agenda fährt, das Gespräch nicht verspricht, was du dir erhoffst und keine Mittel hast einzugreifen. Ich verstehe meinen Podcast zB als Plattform, auf der andere ihre Projekte vorstellen können, weshalb ich mich häufig stark zurücknehme und sehr offene Fragen stelle. Das geht aus meiner Sicht immer schief bei Leuten, die medienerfahren und sehr meinungsstark sind. Häufig werden solche Dynamiken aber auch erst während des Gesprächs klar, weshalb es super wäre, darauf reagieren zu können. Das finde ich total schwer.

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Das stimmt! Da hilft vermutlich nur üben oder doch ein (professionelles) Training. Wäre ja was für den #ppw15a: Ein kleines Rollenspiel mit „schwierigen“ Gästen.

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Was ich gerne empfehle ist Das Interview von Michael Haller. Es richtet sich an Journalisten und nimmt hier eine bestimmte Rolle des Interviewenden bereits an. Es liefert aber dennoch einige Tipps und Tricks in den Kapiteln „Interviews durchführen“ (z.B. Fragearten, die das Antwortverhalten des Gesprächspartners beeinflussen/Fragearten zur Dialosteuerung) und „Psychologie der Interviewführung“ die vielleicht hilfreich sind.

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Egal welche Strategie gewählt wird, sie sollte in der Beschreibung klargestellt werden:

  • Entweder des Podcasts, und dann über die Episoden auch konsistent sein,
  • oder bei Varianz über die Episoden in deren Beschreibungen.

Gäste unkritisiert zu Wort kommen zu lassen, halte ich für ebenso legitim, wie sie argumentativ zu zerpflücken. Die jeweilige Herangehensweise darf jedenfalls nicht verschleiert werden.

Bei KonScience merke ich kritische Punkte von Studien an, wenn sie mir bei der Recherche auffallen. Aber ich bohre nicht aktiv nach, da ich die meisten Themen ja nicht selbst ausführlich genug studiert habe. Was im Umkehrschluss auch heißen kann, dass manche von mir vorgetragenen Kritikpunkte, gar nicht stichhaltig sind.

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PS: Das war die neutrale Version, jetzt folgt meine Haltung :wink:

  1. Man sollten auf ein etwas höheres Niveau zielen, als ähnliche Formate in Massenmedien darbieten. Nicht deren Fehler begehen.
  2. Wenn man Gäste durch kritische Fragen zu Reflektion und Nachdenken anregen kann, sollte man das tun. “Personal Media” verstehe ich nicht nur als “persönlich” sondern auch als “persönlichkeitsbildend”. Für alle Beteiligten.
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Vielen Dank – habe ich mir mal bestellt. Die “angenommene Rolle des Interviewenden” ist dann folgerichtig die des Journalisten (aufklären, investigativ, 4. Gewalt usw.)?

Das kenne ich :slight_smile: – und wäre dann eigentlich ein Appell sich wirklich gut auf das Thema vorzubereiten. Zumindest soweit, dass man ab und an tiefer nachfragen und das Gespräch auf den einen oder anderen Aspekt lenken kann.
Die Idee mit dem „Disclaimer“ finde ich interessant – wäre was fürs Intro oder Outro, um auch Neuhörer_innen noch mal zu erklären, was mit seinem Podcast eigentlich bezweckt.

Würdest Du sagen, das gilt in beide Gesinnungsrichtungen? Also auch dann, wenn ich mit dem Interviewpartner auf einer Wellenlänge liege und wir dann quasi komplett konträr denken müssten?

Sehr schönes, spannendes Thema - und viel Richtiges ist schon gesagt worden. Meine Position: entscheidend ist zunächst mal was @katrinleinweber sagt: man sollte nicht Verschleiern.

Das gilt m.E. auch und insbesondere gegenüber Gästen, bei denen man vorhat etwas härter nachzufragen. Ich würde das denen gegenüber wenn es irgendwie geht im Vorfeld transparent machen, auch auf die Gefahr hin dass sie zurückziehen oder sich besser aufmonitionieren können. Von Überraschungsattacken halte ich nicht viel.

Der Gegenentwurf sich “die Leute um Kopf und Kragen” reden zu lassen ohne dass man selbst viel hinzugeben muss: ja, funktioniert oft, aber ich habe da immer ein mulmiges Gefühl bei. Mir fehlt es da irgendwie an - Haltung. Oder auch Mut, sich der Konfrontation direkt zu stellen.

Ganz wichtig: es sind immer noch Gäste, und als solche sollte man nie Anstand und Respekt vermissen lassen. Es sei denn, man fährt eine für alle Beteiligten ersichtliche Krawall-Show.

Wir hatten in der Sondersendung zwei Momente, wo die Gäste vermutlich etwas überrascht waren: der Exkurs mit @graphorama über das Lokodesign und die “sieht aus wie ein B2 Tarnkappenbomber” Passage mit den Quadrocopter-Jungs. Das ist für die dann vielleicht schon etwas ungemütlich, aber hey, das Teil sah halt aus wie eine B2.

Mehr Diskurs wagen!

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Das ist in der Tat die schwierige Gratwanderung: Einerseits den Leuten den Freiraum geben, damit sie

über sich und ihr Thema sprechen können und anderseits auch als Podcaster_in selbst nicht zum Stichwortgeber verkommen.

Ich habe ja mal ein wenig in Claudias Buchtippp gestöbert und da wird auch empfohlen, die grobe Richtung des Interviews abzustecken / anzukündigen, aber keine konkreten Fragen bekannt zu geben. Dass man aber bei manchen Aspekten Diskussionsbedarf sieht, würde ich für mich auf jeden Fall als zukünftigen Punkt auf der Checkliste „Gästeinfo“ vermerken und vorab kommunizieren.

Dazu Fefe im Interview mit Jung & Naiv, Folge 219: “Den Interviewpartner reden lassen”. Hier der Link kurz vor der passenden Stelle http://youtu.be/zT3rPlniIEI?t=2m20s

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Ja, das ist das Krautreporter-Interview, das ich eingangs erwähnt hatte. Ist auch sonst ganz interessant.

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Ich denke auch, dass im Prinzip alle Haltungen möglich sind, so lange transparent ist, was geschieht. Ich schätze beispielsweise sehr das Format BBC Hard Talk, bei dem der/die Interviewer_in grundsätzlich die Position des Advocatus Diaboli einnimmt und die interviewte Person hart rannimmt. Da ist von vorne herein dem Publikum und beiden Interviewpartnern klar, wie das hier läuft und daher unproblematisch.
Der krasse Gegenentwurf dazu wäre z.B. die Interviewtechnik, die Dennis Mascarenas in den Filmen “Deckname Dennis” und “Die Mondverschwörung” einnimmt. Er gibt sich völlig offen und zustimmend und bekommt dadurch die Leute dazu, voll aus der Reserve zu kommen. Auch wenn hier für seine Gesprächspartner_innen nicht zu 100% transparent ist, was er tut, eignet es sich m.E. trotzdem als Beispiel, da zumindest für das Publikum klar ist, wie seine Äußerungen im Interview einzuordnen sind.

Die Fragen, die sich letztendlich stellen sind:

  • Wie stellt man die nötige Transparenz her?
  • Kann man dies einmalig tun und es gilt dann für alle Episoden, oder muss man für jede Episode einzeln die eigene Position reflektieren?

Je wandelbarer deine Interview-Haltung ist, desto komplexer wird auch die Aufgabe, Transparenz herzustellen.

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