Motivation
Gelegentlich gelangen Fragen betreffend die Wahl eines idealen Mikrofons an mich. Geliebäugelt wird mit dynamischen Mikrofonen, weil diese Umgebungsgeräusche unterdrücken würden. Da man in jedem dritten YouTube-Video ein Shure SM7b gesehen hat, ist dieses nun in der engeren Auswahl. Joe Rogan nutzt das ja auch. Und Michael Jackson soll… Aber da war doch das Problem mit diesem „Gain“?
An dieser Stelle will (und kann) ich nicht die Frage nach dem idealen Mikrofon beantworten. Stattdessen wird gezeigt, wie man diese dynamischen Mikrofone (Shure SM7b, Shure SM58, EV RE-20, RODE Procaster etc.) betreiben kann, denn nicht in jedem Fall ist das ohne Weiteres möglich. Auch werden Alternativen gezeigt. Dies ist der Versuch einer Hilfestellung, ergänzt mit eigenen Erfahrungen und persönlichen Präferenzen. Um Beispiele zu liefern oder Empfehlungen zu geben, verlinke ich gelegentlich Produkte, nutze aber keine Affiliate-Links.
Ausgangsproblem
Nach reichlicher Überlegung bist Du zum Schluss gelangt, dass ein dynamisches Mikrofon die für dich beste Wahl sein wird. Dafür gibt es gute Gründe.
Dynamische Mikrofone werden gerne als „gainhungrig“ bezeichnet – oft zu Recht. Untechnisch ausgedrückt heisst das: Das Audio-Interface (Gerät zwischen Mikrofon und Computer), an dem das Mikrofon betrieben werden soll, muss viel Signalverstärkung (Gain) bieten, um eine brauchbar laute Aufnahme zu ermöglichen. Liefert das Audio-Interface hingegen nicht genügend Gain, resultiert eine zu leise Aufnahme.
Mit der Menge an zur Verfügung stehendem Gain ist’s noch nicht getan. Wichtig ist auch, dass diese Gainmenge rauscharm geliefert wird. Regelmässig stellt man bei (günstigeren) Audio-Interfaces (z.B. Steinberg UR oder Focusrite Scarlett Serien) fest, dass mit dem Hochdrehen des Gainreglers nicht nur das Signal lauter wird, sondern auch ein zunehmend ansteigendes Rauschen resultiert (was nicht immer tragisch ist). Genügend Gain alleine hilft wenig, wenn die Aufnahme stark rauscht. Wir wollen Lautheit mit möglichst wenig Rauschen. Oft geben Hersteller an, wie viel Gain ihr Audio-Interface liefern kann. Auch beschreiben Hersteller gelegentlich das Rauschverhalten eigener Audio-Interfaces. Hier lohnt sich ein Blick ins Datenblatt, wobei die Linearität des Rauschverhaltens oft nicht beschrieben wird. Hier muss man Erfahrungen anderer konsultieren (einige Empfehlungen unten).
Wie viel Gain brauche ich?
Die Antwort hängt von der Lautheit unserer Stimme, der Distanz zum Mikrofon und vom Mikrofon selber ab. Mikrofone sind unterschiedlich empfindlich und brauchen deshalb unterschiedlich viel Gain. Wie eingangs erwähnt, verlangen dynamische Mikrofone tendenziell viel Gain. Die Empfindlichkeit (den englischen Begriff des output level halte ich für klarer) eines Mikrofons ist wichtig und lässt sich dem Datenblatt des Herstellers entnehmen. Idealerweise soll die Verstärkung so zur Verfügung stehen und eingestellt werden, dass beim Sprechen Lautheitsausschläge (Peaks) im Bereich zwischen -18 und -12 dB resultieren.
Angegeben wird die Empfindlichkeit in X mV/Pa oder -Y dBV/Pa (gemessen bei 1 kHz). Die Zahlen werden unterschiedlich aussehen, sagen aber das Gleiche. 2,8 mV/Pa entsprechen beispielsweise rund -51 dBV/Pa. Bei Angaben in mV/Pa bedeutet eine grössere Zahl ein lauteres Signal. Bei dBV/Pa Angaben führt eine Zahl näher bei 0 zu einem lauteren Signal. Es gibt Webseiten, welche die Umrechnung für dich übernehmen. Daraus folgt: Ein Mikrofon mit einem höheren mV/Pa respektive dBV/Pa Wert verlangt weniger Gain und lässt sich deshalb leichter betreiben.
Aus der Praxis: Die Empfindlichkeit des Sennheiser e935 wird mit 2,8 mV/Pa (-51 dBV/Pa) angegeben. Aus eigener Erfahrung will ich hierfür ein Audio-Interface, das mindestens 50 dB rauscharmen Gain liefern kann – lieber 54 dB. Mein Shure SM7b (-59 dBV/Pa) habe ich damals mit 63 dB Gain betrieben. Das sind meine persönlichen Richtwerte, welche dir bei deiner Einschätzung helfen können.
Edit als Hinweis: Absolut rauschfreie Kombinationen gibt es nicht. Wie @RaGu unten richtig anmerkt, haben auch Mikrofone ein Eigenrauschen. Das Rauschen kann jedoch derart gering sein, dass wir es nicht wahrnehmen.
Lösungsansätze
Gute Vorverstärker
Der erste Lösungsansatz, um z.B. ein Shure SM7b zu betreiben, ist denkbar simpel: Ich kaufe mir ein Audio-Interface, das mit Vorverstärkern (PreAmps) ausgestattet ist, die rauscharm 63 dB Gain liefern. Die MixPre Reihe aus dem Hause Sound Devices wäre eine Möglichkeit. Die Geräte sind super – aber teuer. Zu dem Gerät gibt’s hier einen ausführlicheren Bericht. Nicht selber getestet habe ich das SSL 2 von Solid State Logic, welches 62 dB Gain verspricht und viel günstiger ist. Auch damit soll ein Shure SM7b problemlos betrieben werden können. Auch die Audient ID4 MKII sowie ID14 MKII sollen ein Shure SM7b betreiben können. Die Tascam US HR Serie scheint auch vielversprechende Messergebnisse zu liefern.
Nebenbei: Entgegen der gängigen Vermutung ist das Verhältnis von Signal zu Rauschen bei PreAmps am oberen Ende besser als am unteren, auch wenn man das Rauschen (neben der eigenen Stimme) da besser hört. Es spricht folglich nichts dagegen, den Gainregler – bei Bedarf – beherzt hochzudrehen.
Inline PreAmp
Wer schon ein zu schwaches Audio-Interface angeschafft hat oder aus anderen Gründen ein Audio-Interface will, welches selber nicht genügend rauscharmen Gain liefern kann, könnte zu einem sogenannten „Inline PreAmp“ greifen. Der Name verrät, was das Gerät tut: Zwischen Mikrofon und Audio-Interface (in-line) wird ein weiterer Vorverstärker (PreAmp) gesteckt. Dieses Gerät liefert eine zusätzliche Signalverstärkung.
Selber habe ich mit dem FetHead von Tritonaudio gute Erfahrungen gemacht. Günstiger ist der CT 1 von Klark Teknik. Tipp: Ins Mikrofonende und nicht ins Audio-Interface stecken, um nicht zu verstärken, was allenfalls erst im Kabel passiert. Da der Cloudlifter CL-1 ein zusätzliches XLR-Kabel benötigt, mag ich diese Lösung weniger. All diese Optionen verlangen ein Audio-Interface, welches Phantomspeisung liefert. Für den Einsatz in Livestreams kann auch ein DBX 286s mit zusätzlichen Features interessant sein.
Beseitigung in der Postproduktion
Diese Lösung empfehle ich ungern. Probleme mit Rauschen will man vor der Aufnahme lösen, nicht nachher. Um gelegentlich ein Restrauschen einer angelieferten Aufnahme zu beseitigen, kann eine nachträgliche Rauschentfernung jedoch hilfreich sein. Zwei unterschiedliche Ansätze dominieren: Rauschfilterung über ein angelerntes Beispiel und das Noise Gate. Diese beiden Tools könnten theoretisch auch schon während einer Aufnahme eingesetzt werden.
Bei der eigentlichen Rauschfilterung füttert man die Software (z.B. Plugin in der DAW) mit einer rauschenden Passage. Die Software rechnet anschliessend das angelernte Rauschen aus der Aufnahme raus.
Ein Noise Gate setzt bei der Lautheit an. Wir sagen dem Gate (Tor/Türe), dass es nur durchlassen soll, was eine bestimmte Lautstärke überschreitet. Da das Rauschen (hoffentlich) leise ist, wählen wir die Lautstärke unseres Rauschens als Schwellenwert. Im Idealfall wird nun das leise Rauschen geblockt und die lautere Sprache durchgelassen.
Ich persönlich bevorzuge die Rauschfilterung und arbeite gerne mit DeNoise aus der Restoration Suite von Acon Digital. Verbreitet ist auch der Dienst @Auphonic, der weit mehr als nur Rauschentfernung kann.
Mikrofon mit hohem mV/Pa Wert
Man kann das Problem auch von der anderen Seite angehen. Dieser Lösungsansatz war bereits im oberen Teil versteckt. Ich kann schlicht ein dynamisches Mikrofon wählen, das nicht viel Gain verlangt. Davon gibt es tatsächlich einige. Da ich selbstverständlich nicht jedes Mikrofon dieser Welt kenne, hat die nachfolgende Liste nur Beispielcharakter.
Mit eigenen Erfahrungen:
- Sennheiser e835, 2,7 mV/Pa, Nierencharakteristik
- Sennheiser e935, 2,8 mV/Pa, Nierencharakteristik
Ohne eigene Erfahrungen:
- Shure Beta 58a, 2,8 mV/Pa, Supernierencharakteristik
- Electro-Voice (EV) Co9, 3,2 mV/Pa, Nierencharakteristik
- Electro-Voice (EV) ND96, 3,3 mV/Pa, Supernierencharakteristik
- Beyerdynamic TG V70, 3,2 mV/Pa, Hypernierencharakteristik
- Beyerdynamic M 88, 2,9 mV/Pa, Hypernierencharakteristik
Exkurs: Bühnentaugliche Kondensatormikrofone
Um den Rahmen nicht zu sprengen, will ich diesen Bereich nur kurz anschneiden. Falls Du dich wegen der Bühnentauglichkeit bzw. der Fähigkeit, die Stimme zu isolieren, oder wegen des handlichen Formfaktors für ein dynamisches Mikrofon entschieden hast, dann sei der Hinweis erlaubt, dass Kleinkondensatormikrofone diese Bereiche auch abdecken können. Kondensatormikrofonen wird üblicherweise ein höher aufgelöstes Klangbild nachgesagt, was regelmässig präferiert wird. Nachfolgend eine Auswahl.
Mit eigenen Erfahrungen:
- Sennheiser e865, 3 mV/Pa, Supernierencharakteristik
- Neumann KMS 105, 4,5 mV/Pa, Supernierencharakteristik
Ohne eigene Erfahrungen:
- Sennheiser e965, 7 mV/Pa, Niere/Superniere (schaltbar)
- Beyerdynamic TG V56, 3,3 mV/Pa, Nierencharakteristik
- Beyerdynamic TG V96, 4 mV/Pa, Nierencharakteristik
- Neumann KMS 104, 4,5 mV/Pa, Nierencharakteristik
Eine Randnotiz zum Schluss:
Natürlich gilt das oben Gesagte grundsätzlich auch für Kondensatormikrofone. Da deren Empfindlichkeit generell höher ist, treten die gängigen Probleme dort jedoch weniger auf.