Für den Rasenfunk basiert unser Standardaufnahmesetup auf Ultraschall mit Studio Link. Und jeder, der hier etwas unterwegs ist weiß, dass ich Studio Link liebe und jedem und jeder für Aufnahmen mit geringer Latenz in hoher Qualität ans Herz lege. Im Verbund mit einigen HMC660, die ich bei Bedarf an Gäste schicke, bekommt man eine sehr gute Klanqualität für die Sendungen. Sogar mit In-Ear-Headsets ist sie ganz passabel (wenn der Gast das Headset mit einer Wäscheklammer am Kragen fixiert, damit es nicht an der Kleidung schleift).
Zur fast täglichen Arbeit (allein in diesem Jahr bisher 66 Episoden mit über hundert Gästen) mit @sreimers gehört allerdings auch die Erkenntnis, dass in etwa einem von vier Fällen eine Aufzeichnung nicht klappt. Und das obwohl ich inzwischen sehr versiert darin bin, Gäste am Telefon blind durch die Systemsteuerung oder das Audio-Midi-Setup zu führen.
Manchmal blockieren Firmennetzwerke die Verbindung (z.B. bei vielen Verlagen), manchmal fehlen die Admin-Rechte um Studio Link zu installieren, manchmal lässt sich die KHz-Rate am Headset nicht verstellen und manchmal kommt einfach beidseitig kein Anruf durch und alle Quick Fixes (Neustart, Neu-Installation mit Warten auf Meldung der Firewall, etc.) helfen nicht. Eine von vier Folgen muss ich mit Skype aufzeichnen - und das ist unschön. Die Latenz ist verheerend, es fällt kein Multitrack dabei raus, die Klangqualität ist oft suboptimal und überhaupt pfuscht Skype akustisch ganz schön rein. Selbst gute Headsets klingen manchmal wie in einen Joghurtbecher gesprochen.
Kurz: Wir suchen eine Alternative als Plan B für den Fall, wenn Studio Link mal nicht geht.
Das hier sind unsere Anforderungen an diese neue Lösung:
- Multitrack möglich - egal ob während der Aufzeichnung oder danach durch Download lokaler Spuren
- Aufnahme wird über Ultraschall gefahren für Editmarken, Kapitelmarken usw. (die Postproduktion bei uns ist auf Geschwindigkeit ausgelegt, in der Regel rendern wir die Tracks 15 Minuten nach Aufnahmestopp mit allen Kapitelmarken usw. fertig raus)
- Es ist keine Installation von Software nötig
- im Bestfall funktioniert es auch via Smartphone
- die Benutzung ist möglichst einfach
- die Klangqualität kommt an Studio Link heran, ist aber auf jeden Fall besser als Skype
@helmi und ich haben in den letzten Wochen mehrere Lösungen getestet und ich dachte, euch interessiert das Ergebnis bestimmt.
Vor den Ergebnissen unserer Tests aber noch ein paar Worte vorab.
-
Bis auf eine Ausnahme sind alle Dienste kostenpflichtig. So wie Studio Link bald auch seinen verdienten Preis kostet ist es mit fast allen anderen Lösungen auch. Wer also aus welchen Gründen auch immer kostenlos aufzeichnen will, wird hier nicht fündig.
-
Wichtig war das Fehlen einer Installation sowie Einfachheit. Dementsprechend tauchen hier alle möglichen Hacks mit Whatsapp-Anruf, der auch lokal aufgezeichnet wird, Skype mit lokale Zweitaufnahme usw. nicht auf
-
Sämtliche Lösungen basieren meines Wissens nach auf WebRTC und benötigen dementsprechend einen Browser, der damit umgehen kann. Bisher können das Chrome, Firefox und Opera. Im Internet Explorer/Edge und im Safari funktionieren die Dienste nicht. Allerdings habe ich bei der Recherche erfahren, dass der Safari damit bald umgehen können soll, schrittweise wird das wohl geöffnet. Einer der Dienstleister sagte mir, er hoffe noch in diesem Jahr auch den Safari nutzen zu können.
-
Wir haben die Dienste angetestet, jeden so etwa zehn Minuten. Dabei saßen wir aber in einer fast zu guten Umgebung mit LAN und jeweils Internetleitungen jenseits der 100Mbit/s. Zudem hatten wir gute Headsets in Verwendung. Es ist also nur ein schneller Test, keinesfalls irgendetwas richtig Ausgefeiltes. Eine Stichprobe unter subjektiven Bewertungskriterien.
Also, legen wir los:
UNSERE WAHL: SessionLink PRO (20-24 Euro im Monat)
SessionLink kommt aus der Welt der Tonstudios mit Remote-Sprecheraufnahmen und ist nicht für Podcasts entwickelt. Dementsprechend gibt es manche Einschränkung, zum Beispiel eine ganz wichtige: Aktuell ist nur eine Aufnahme mit einem Host und zwei zugeschalteten Gästen möglich. Da das für 90% der Aufnahmen des Rasenfunks zutrifft, funktioniert SessionLink für uns dennoch.
Was uns gefallen hat:
- nicht hübsches, aber verständliches User Interface
- verständliche Interface-Auswahl
- verfügbarer Chat
- gute Übersicht als Host (man sieht, wenn Teilnehmer den Link zum Conference Room geöffnet haben usw.)
- die Seite funktioniert auch auf Android-Smartphones mit Chrome-Browser, wenn auch nicht mobil optimiert
- Lösung für Safari soll kommen, der Entwickler baut das gerade schon für sein anderes Produkt (Videokonferenzen)
- Multitrack-Aufnahme schon live via Ultraschall möglich (erkläre ich gleich)
- die einzelnen Tracks werden zusätzlich in einer einzelnen WAV-Datei gespeichert, die man mit “items processing” in Ultraschall leicht entpacken kann. Riesenvorteil: Da die alle in derselben Datei mit derselben Clockrate geschrieben werden, sind sie perfekt miteinander synchronisiert
- SessionLink kommt aus Deutschland und ist im Supportfall sogar via Telefon zu erreichen. Ich hatte ein sehr nettes Gespräch und einmal hat mir Entwickler Tim Proegler per Mail einen Fehler in meiner Routingmatrix aufgezeigt. Bisschen peinlich, dass er das mit einem Blick in ein für ihn bis dahin fremdes Programm erkannt hat und ich nicht - aber der Support war natürlich spitze
Besonderheit:
SessionLink nutzt die unterschiedlichen Kanäle (L und R) sehr gezielt. Schaltet man als Host zwei Gäste zu, dann schickt er das Signal von L als mono an den einen Gast und das Signal von R als mono an den anderen und jeweils andersherum mit einer Bridge-Möglichkeit zwischen den Gästen (damit die sich auch hören). Daher auch die bis jetzt bestehende Beschränkung auf zwei Gäste + Host.
Für Ultraschall-Nutzer am Mac hat das aber einen Vorteil: Über den Ultraschall-Hub und das damit erstellte Hauptgerät kann man die beiden Gäste direkt als Multitrack in Ultraschall aufzeichnen und die Aufzeichnung von SessionLink als Backup nutzen.
Routing-Matrix mit Zoom H6 und Ultraschall Hub sieht dann so aus:
Input 1 (Skype Speakers) ist der linke Kanal des Speakers-Interfaces, Input 2 der rechte.
Output 1 (Skype Microphone) ist der linke des Microphone, usw.
Routing wäre theoretisch auch noch anders möglich (Host und Soundboard an Stereo-Kanal des Microphones, etc.), aber ich denke es wird für die Experten klar, wie es geht.
Zencastr (kostenlos mit Einschränkungen, ansonsten 18-20 Dollar/Monat)
Was uns gefallen hat:
- Volle Kontrolle für den Host
- “Health-Check” sucht nach möglichen Problemen bei den Gästen (erhöht aber Komplexität)
- Bedienung relativ simpel
- geht zur Not auch am Smartphone
- Speichern der lokalen Spuren sowohl lokal als auch in der Cloud
- Support war in der Trial-Phase gut
Was uns nicht gefallen hat:
- Wir hatten Aussetzer in den Verbindungen
- das integrierte Soundboard ist nicht pegelbar
- Eingespielte Sounds liegen auf der Spur des Hosts und nicht in einer eigenen
- Zencastr verträgt sich nicht mit Bluetooth-Geräten (haben wir aber nicht bei allen Diensten ausprobiert, könnt ein generelles Problem wegen KHz von Bluetooth sein)
- Zencastr hat immer wieder Probleme mit auseinanderlaufenden Spuren. Das ist normal, allerdings war der Versatz bei unseren zwei Tests extrem und nicht mehr durch Stretch-markers zu fixen
Squadcast (17-20 Dollar/Monat)
Was uns gefallen hat:
- die Optik! Schick und funktional
- das Onboarding ist sehr gut auch für wenig technikaffine Menschen
Was uns nicht gefallen hat:
- es war nicht mobil zu nutzen
Cleanfeed (kostenlos - 22-34 Dollar/Monat)
Was uns gefallen hat:
- simples, funktionales Design
- sehr schnell nutzbar, für uns einfach zu verstehen
Was uns nicht gefallen hat:
- Multitrack-Recording ist noch in der Beta und sollte nicht für lange Aufzeichnungen genutzt werden
- ich konnte als Host keinen Kanal für die Audioausgabe (wäre bei mir “Skype Speakers” gewesen) auswählen
Ringr (8-19 Dollar/Monat)
Was uns gefallen hat:
- Ringr hat als einzige Lösung Apps für iOS und Android
Was uns nicht gefallen hat:
- Nutzt man die Apps, weiß man, warum sich da bisher keiner rantraut. Die Bewertungen stehen bei beiden Systemen auf 2,irgendwas Sterne
- Bei uns hat nicht einmal die Desktop-Variante funktioniert. Next!
CAST (10-30 Dollar/Monat)
Was uns gefallen hat:
- die Optik. So schön!
- das Onboarding (mit Einschränkung, siehe unten)
- der Theorie nach kann Cast noch viel mehr als nur Aufzeichnen (die wollen eine all-in-one-Lösung sein)
Was uns nicht gefallen hat:
- es gibt keinen mobile Support und anders als bei der Konkurrenz funktioniert die Seite mobil auch nicht wirklich
- das Onboarding ist toll, aber will ich später meine Audio Interfaces nochmal umstellen, muss ich die Session neu starten. Das ist dann doch etwas zu fehleranfällig für Gäste, die sich da evtl. nicht auskennen
Nur kurz angetestet, aus diversen Gründen:
- Discord (ginge auch im Browser also ohne Installation. Qualität war bei uns aber nicht gut und für Neulinge ist Discord unserer Meinung nach zu kompliziert). Gilt auch für Slack
- Appear.in (ist eine Video-Lösung und dementsprechend schlecht ist das Audio
- Zoom US (läuft nur mit Software)
–
Ich hoffe, das hilft euch vielleicht, ist sicher zunächst mal einfach eine ganz gute Liste an Tools. Und im Bestfall können wir diesen Thread aktuell halten und mit euren Erfahrungen ergänzen?