Eine kurze Anleitung für bessere O-Töne. Oder auch, "fix it in the mix" ist keine Lösung

Hallo zusammen,
ich arbeite als Soundeditor und bei meiner Arbeit, die sich seit letztem Jahr nur noch auf Podcasts bezieht, ist mir aufgefallen, dass im deutschsprachigen Raum O-Töne technisch ein echtes Problem darstellen.
Hat natürlich damit zu tun, dass in Deutschland, viele die in dem „neuen“ Audiobereich arbeiten nicht daher kommen und daher grundlegendes technisches Wissen nicht mitbringen können. Und vermutlich ist es auch ein wenig Pandemiebedingt.

Ich hatte mir daher überlegt eine Art kurzen Guide, ähnlich dem vom NPR auf Deutsch zu erstellen. Vielleicht ist das für einige hier also auch interessant.

Als erstes. Ein einfacher Mobilerecorder wie der Zoom H4N oder ähnliches ist schon ganz okay, reicht aber eigentlich nicht aus!
Zusätzlich zu dem Recorder wird also ein externes Mikrofon benötigt. Hier gibt es drei Varianten die alle ihre Vor- und Nachteile haben.

Dynamisches Mikrofon mit Kugelcharakteristik:
Ein Reportage Klassiker könnte man sagen. Vorteil ist, durch die Kugel kann es auch mal etwas Bewegung geben und es ist trotzdem noch alles auf Tape. Ein weiterer Vorteil, Wind- und Poplaute werden schon durch die Bauart reduziert.
Nachteil, durch die Kugel bekommt man natürlich auch eine Menge Umgebungsgeräusche mit drauf. Die können fürs auditive Erzählen aber evtl. gut funktionieren.
Da es ein dynamisches Mikrofon ist, muss man schon recht nah am Objekt dran sein. Dafür ist es gegen Griffgeräusche relativ unempfindlich.

Gerichtetes Kondensator Mikrofon:
Kennt man vor allen aus dem Filmton, die Angel. Hier ist die Charakteristik oft Superniere oder Keule. Das heißt, das Mikrofon nimmt sehr gerichtet auf. Aufgrund dessen eignet es sich für Personen die weiter weg stehen oder auch eher laute Umgebungen. Zudem sind sie wirklich großartig für Interview Situationen in denen es wenig Bewegung gibt. Hier können sie genutzt werden ohne den Interviewten im Gesicht rumzuhängen. Da es sich um ein Kondensatormikrofon handelt, ist es gegenüber Griffgeräuschen sehr empfindlich. Es empfiehlt sich daher ein ein Pistolengriff mit Aufhängung.

Lavalier Mikrofon:
Würde ich grundsätzlich nicht empfehlen, da sehr Störanfällig. Zudem ist der Sound aufgrund der Position des Mikrofons schlechter als mit den anderen Varianten. In Ausnahmefällen dann aber doch ganz praktisch. Wenn man Beispielsweise sehr viel Bewegung im O-Ton hat.

Im Idealfall hat man dann wie ich, der an GAS leidet, alles drei da. :smiley:

Dialog immer in Mono:
Da häufig mit den schon genannten Mobilerecordern aufgenommen wird, hat es sich etabliert, Interviews in Stereo aufzunehmen. BITTE NICHT!
Interviews werden insbesondere bei Podcasts oder ähnlichen reinen Audioformaten immer in Mono gemischt. Wieso also dann in Stereo aufnehmen?
Daraus folgt letztlich nur Mehrarbeit für die Menschen die das ganze editieren und mischen.
Zudem kann es so leichter zu technischen Problemen wie Phasenverschiebungen etc kommen.
Der Stereo-Effekt sollte lieber über zusätzliche Atmo geholt werden.
Dazu komme ich jetzt.

Atmo, Ambience, Roomtone:
Zweimal Roomtone bitte, jeweils mindestens 90 Sekunden.
Roomtone oder Atmo wird zu editieren von Dialogen benötigt. Wenn zum Beispiel im Dialog geschnitten werden muss kann man damit weichere Übergänge setzen oder tote Lücken füllen. Oder zum Beispiel um Übergängen zwischen Host und O-Ton lebendiger zu gestallten.
Auch bei Pandemie bedingten Zoom, Skype o.ä. Gesprächen kann dies von Vorteil sein. Schaden tut es jedenfalls nicht.
Das Problem ist, diese Sounds kann man nicht nachahmen. Jeder Raum klingt so eigen, dass man auch mit fertigen Librarie Sounds nicht weiter kommt.

Roomtones können gerne in Stereo aufgenommen werden. Aber wieso zwei?

Roomtone eins wird entsprechend der Gesprächssituation direkt am Ort des Geschehens aufgenommen. Zum Beispiel an einem Tisch im Café.
Roomtone zwei nimmt das Ganze etwas größer auf. Wenn wir beim vorherigen Beispiel bleiben also das ganze Café.
Die beiden Töne kann man dann beim Bauen des Beitrags verwenden um Lücken zu füllen oder auch um die Hörer*innen besser ins Geschehen eintauchen zu lassen.

Kopfhörer:
Tragt wirklich immer Kopfhörer! Mag ein bisschen doof aussehen, ist aber extrem wichtig um ein möglichst gutes Signal zu bekommen und ggf korrigieren zu können. Und da wir mit Audio arbeiten, ist das wohl einer der wichtigsten Punkte.

Szenen und Bewegung aufnehmen:

Wenn es um erzählte Formate geht und bestimmte Szenen schon im Kopf sind, sollte versucht werden diese in Sound aufzunehmen. (Hinfahrt zum Interview, Ankunft, Abfahrt etc.)
Macht euch auf jeden Fall Gedanken was in der Szene passiert und nehmt die Sounds auf. Wenn wir beim Café als Beispiel bleiben, z.B. Kaffeemaschine, Milchsteamer. Also typische Geräusche die jeder Mensch mit dem Ort verbindet.

Das wars erstmal. Wenn jemandem noch etwas dazu einfällt, könnt ihr gerne ergänzen. Mit diesem Beitrag möchte ich übrigens keinem der freien Podcaster*innen vorhalten, dass sie unbedingt drei verschiedene Mikros benötigen etc.
Das ist alles aus der professionellen Sicht geschrieben. Aber vielleicht kann die eine oder der andere etwas für sich mitnehmen.

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Gut geschrieben! Stereo ist tatsächlich ein Problem. Ganz oft höre ich das in Podcasts und die Stimme wandert unkontrolliert durch den Kopfhörer. Da hilft dann, wenn überhaupt, nur noch der Mono-Knopf im Handy.

Ich würde tatsächlich neben dem Roomtone in Stereo auch noch direkt in meinem Interviewtake ein paar Sekunden Raumton mit dem Hauptmikro mitnehmen um im Dialog besser flicken zu können.

Stimmt, da gebe ich dir recht. Das meinte ich eigentlich auch mit dem nahen Ton direkt bei der Situation. Generell kann man hier wohl sagen, haben ist besser als brauchen.

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Wofür steht „GAS“ an dieser Stelle? Großes Aufnahme Set?

Gear Acquisition Syndrome

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Das was Jonas sagt. Aber das Syndrom führt auch automatisch zu einem großen Aufnahmeset. :smiley:

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Danke für die Antworten und sorry für die dumme Anfängerfrage.

Ach kein Ding. Und keine Angst vorm Fragen!

Oh ja, da kann einem fast schwindelig werden, wenn die Stereo-Mikros dann auch noch bewegt werden.

Abhilfe könnte sein, z.B. beim ZOOM H6 den Stereo-Aufsatz für die Atmo zu verwenden (H6 aber nicht schwenken!) und das Gespräch mit einem Mono-Mikrofon aufzunehmen.
Ich bevorzuge dafür ein (leicht) gerichtetes Mikrofon, das ich zwischen mir und dem Gesprächspartner hin und her schwenke. Nebeneffekt: Man kann dem Gesprächspartner elegant das Wort entziehen.

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Ja die Aufsätze für die aktuellen H’s sind super. Ich habe in letzter Zeit halt fast nur Interviews bekommen die mit XY-Aufsatz aufgenommen wurden und dann zwischenzeitlich nochmal gedreht. Das macht spaß bei Editieren. :wink:

Naja man kann ja zur Not auch einfach später einen Monomixdown vom X/Y machen oder nur einen Kanal benutzen. Muss man nur gucken wegen Phasenverschiebung.